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DER FLIEGENDE HOLLÄNDER

Richard Wagner

Inszenierung | Licht Sebastian Ritschel
Musikalische Leitung Markus Bruker
Ausstattung Sebastian Ritschel
Dramaturgie Ronny Scholz
 
Premiere 26. September 2013 | Opernloft Hamburg

Besetzung

Senta Tammi Huber
Ein Freund Edwin Joseph Cotton
Holländer Konstantin Anikin

Trailer | Trailer | DER FLIEGENDE HOLLÄNDER

Rezensionen

Birgit Schmalmack - hamburgtheater.de

Sehnsucht als Projektion

Der fliegende Holländer ist eigentlich ein leibhaftiger Seemann, der zu ewigem Herumirren auf dem Meer verdammt ist. Diese Figur, die Wagner für eine seine ersten Opern mit dem gleichnamigen Titelheld aufgegriffen hat, wird im Opernloft zu einer reinen Projektionsfläche. Im Original hat sich der Holländer nach einer gescheiterten Umrundung des Kaps geschworen, auf dem Meer zu bleiben; es sei denn er fände eine Frau, die ihm die ewige Treue schenke. Bei Regisseur Sebastian Ritschel ist es aber diese Frau Senta (Tammi Huber), die ihn eigentlich erlösen soll, diejenige, die selbst nach Erlösung sucht. Denn die Ballade vom Fliegenden Holländer hat sie in den Zustand schwärmerischer Sehnsucht versetzt. Seitdem schmachtet sie ein Bild an.

Im Opernloft ist sie in einem geschlossenen schwarzen Kubus gefangen. Nur ein Fenster ist in die Rückwand eingelassen. Doch statt eines Ausblicks ins Weite spiegelt es nur ihre Innensicht wieder. Blau für die Weite des Meeres, Rot für die Verzweiflung, Gewitterblitze für die Stimmungsumbrüche. Oft blicken sie große Augen von hinten an; so sehr wünscht sie sich, dass die liebenden Blicke des herbeigesehnten Mannes auf ihr liegen.
Alle weiteren Figuren der Oper fasst Ritschel in der des „Freundes“ (Edwin Cotton) zusammen. Er ist der fürsorgliche Vater, die treu sorgende Amme und der verliebte Erik, der sich seinerseits Hoffnung auf Senta gemacht hatte. Er erweist sich als wahrhaft liebend, denn er ist so um das gefährdete Seelenheil seiner Freundin besorgt, dass er für sie ein Zusammentreffen mit einem „Holländer“ (Konstantin Anikin) inszeniert.

Ritschel macht sich für seine Arbeit zunutze, dass diese Oper noch als Nummernoper konzipiert war. So arrangiert er die Arien zu einer neu ausgerichteten Dreiecks-Geschichte um Liebe, Wahn, Sehnsucht und Treue. Überraschend gut fügen sich die Lale-Andersen-Lieder in das Konzept mit ein. Sie nehmen so der Oper mit einer Prise Ironie etwas der Wagnerschen Schwere, erstaunlicher Weise aber ohne seine Dramatik zu schmälern. Wagners Musik übersteht alle Eingriffe standhaft. Die drei hervorragenden Sänger bringen die wunderschöne Theatralik der gewichtigen Klänge bestens zur Geltung. Das klare, schwarz-weiße, schlichte Design der Bühne trägt dazu bei, dass auch die Gefahren des Kitsches geschickt umschifft werden.

Hamburger Wochenblatt

Gelungene Inszenierung im Opernloft

[…] Die erfrischende Inszenierung von Sebastian Ritschel braucht nur drei Sängerinnen und Sänger, einen Tisch, einige, teilweise abgeschrägte Stühle, das Modell eines Segelschiffs und Videoeinspielungen, um die Grundkonflikte von Wagners „Fliegendem Holländer“ auf die Bühne zu bringen.

Alles dreht sich hier um Senta, die für den unheimlichen Holländer schwärmt, einen Kapitän, der im Original dazu verdammt ist, ruhelos über die Weltmeere zu fahren, bis ihn eine wirklich treue Frau erlöst. Ihr Vater, ihre Amme und ihr Verlobter, den sie mit ihren Schwärmereien düpiert, verschmelzen im Opernloft zu der Figur des Freundes, der Senta vor ihrem Traum warnt, sie schützen, behüten will. Schließlich engagiert er den Holländer, um Senta aus ihrem Traum zu reißen. […] Da passt alles zusammen. Wieder einmal ein richtiger Hit im Opernloft, das immer für eine Überraschung gut ist.

 

Hand-Peter Kurr - Das Hamburger Theatermagazin Godot

Drama­turgie, verstanden als Lehre von den Gesetz­mä­ßig­keiten des Dramas, die Wesen, Wirkung und Form dieser Gattung bedingen, ist im Musik­theater ein eigen Ding. Bei der Produk­tion des Wagner’schen Jugend­werkes „Der flie­gende Holländer“ im Opern­loft hat die Regie sozu­sagen alles seiten­ver­kehrt ange­ordnet: Eine neuro­ti­sche Senta, die offenbar seit Jahren von der Erfül­lung ihrer Liebes-Sehnsüchte träumt, steht im Mittel­punkt. Daher ist der Holländer für sie die Erlö­sung, nicht sie für ihn. Das wiederum bedingt Text­ver­la­ge­rungen en masse, die zumin­dest konse­quent gelungen sind.

Nun ist diese Oper kein mysti­fi­zie­rendes Stück mit Spuk, Zauber, Rache, Vergel­tung und Sühne – Moti­va­tion, um in eine zuvor geord­nete Welt einzu­dringen und sie zu zerstören, sondern, trotz seiten­ver­kehrter Erlö­sungs­idee und Unter­gangs­stim­mung, der expan­sive Ausdruck einer Ballade. Die Frage, ob es legitim ist, die Wagner’sche Kompo­si­ti­ons­kunst durch einge­streute Lale-Andersen-Schlager zu berei­chern, soll an dieser Stelle fairer­weise in den Bereich der zwischen den Gene­ra­tionen exis­tenten Geschmacks­ent­schei­dungen verwiesen werden. Und die Produk­tionen des Opern­lofts sind ja erklär­ter­maßen für junges Publikum gedacht.

Die hier ein wenig unkennt­lich zerteilte Senta-Ballade bleibt in einem Sinn dennoch Kern­stück der Oper, in dem nämlich, dass Senta als mensch­li­ches Wesen die Hand­lung völlig überzeu­gend dyna­misch auflöst, als ein Wesen also, von dem Kraft und Wille ausstrahlen und damit letzt­lich Sieg im Unter­gang möglich ist!

Regis­seur Sebas­tian Ritschel hat die vier übrigen Rollen – Erik, Daland, Mary, Steu­er­mann – in der Partie eines farbigen „Freundes“ zusam­men­ge­führt, der, obwohl er Erik-Texte singt, Senta dem Holländer durch Beste­chung zuführt, damit sie endlich ihre Ruhe finden möge. Und: Bis zur eben­falls drama­tur­gisch seiten­ver­drehten Cavatine des Finales werden Wagners Vorgaben derge­stalt frei­zügig inter­pre­tiert, dass ein Terzett hier den eigent­li­chen Abschluss bildet, das davon berichtet, ein wunder­voller Tag sei nun zu Ende. Aller­dings erscheinen Erör­te­rungen über des genialen Text­dich­ters und Kompo­nisten Wagner drama­tur­gi­sche Inten­tionen deshalb eini­ger­maßen reiz­voll, weil sie nicht nur über histo­ri­sche Perspek­tiven Auskunft geben, sondern von der jewei­ligen Gegen­wart neu gelöst oder zumin­dest akzen­tu­iert werden können.

Die drei Sänger, die ihr Debut im Opern­loft geben, sind pracht­voll: Edwin Cotton als Freund, Konstantin Anikin in der Titel­partie bzw. deren Resten und vor allem die drama­ti­sche Sopra­nistin Tammi Huber als Senta. Der dem Haus nach wie vor treu und zuver­lässig dienende Markus Bruker mit seinen Mannen spielt Wagner und die Schlager glei­cher­maßen mutig live dazu und lässt nur ein einziges Mal im Rahmen einer eben­falls stark redu­zierten Ouver­türe orches­trales Play­back zu. Ein sehr diskus­si­ons­wür­diger Abend!

 

H. M. Schlags - livekritik.de

Absolut sehenswert!

Ritschel hat einen beeindruckenden Raum auf die Bühne des Opernlofts gestellt. Hohe schwarze Wände, sperrige weiße Möbel und im Hintergrund eine integrierte Leinwand, auf der stimmungsgerechte Videos zu sehen sind. Der Raum gibt die Stimmung der Figuren wunderbar wieder. […] Die Lichtregie beachtenswert!

Die in der Fassung eingefügten Lale-Andersen-Schlager werden von den Sängern passend in die wagnerische Musik eingebettet und ergeben ein harmonisches Gesamtklangbild. Noch etwas zu den Schlagern: sie wirken überhaupt nicht fehl am Platz! Für mich waren die traurigsten und tragischsten Momente die, in denen die eigentlich eher heiter klingenden Lieder angestimmt wurden. Sehr berührend! Eine ganz neue Sichtweise auf den Holländer und vor allem seine Senta.