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DIE INSEL TULIPATAN | TROUBLE IN TAHITI

Jacques Offenbach | Leonard Bernstein

Inszenierung | Licht Sebastian Ritschel
Musikalische Leitung Hans-Peter Preu
Ausstattung Sebastian Ritschel | V: Sven Stratmann
Choreografie Marie-Christin Zeisset
Dramaturgie Ronny Scholz | Gisela Zürner
 
Premiere 17. Oktober 2020

Besetzung

DIE INSEL TULIPATAN  
Cacatois XXII. Andreas Petzoldt
Alexis Kirsten Labonte
Romboidal Kay Frenzel
Théodorine Antje Kahn
Hermosa Florian Neubauer
   
TROUBLE IN TAHITI  
Dinah Ylva Gruen
Sam Paul G. Song
Girl Kirsten Labonte
Boy 1 Florian Neubauer
Boy 2 Benedikt Eder
   
  Elbland Philharmonie Sachsen

Trailer | INSELZAUBER

Rezensionen

Deutscher Theaterpreis DER FAUST

Retrospektive 2021

Die Theater und Orchester mussten sich im Pandemiejahr großen Herausforderungen stellen. Viele Theater entwickelten in der letzten Spielzeit innovative ästhetische und pandemiegerechte Konzepte, die weit über das reine Streamen von Aufführungen hinausgingen. Der Doppelabend INSELZAUBER ist Teil der FAUST-Retrospektive für innovative Projekte und Produktionen, die während der Corona-Pandemie entstanden sind.

 www.spectyou.com/de/video/49ae72fb404403c6b6f1

 

Roland H. Dippel - www.nmz.de 

Ein ästhetisch-theatrales Turbovergnügen

Wer im durchsichtigen Wohnwürfel vom Regie, Bühne und Kostüme verantwortenden Operndirektor Sebastian Ritschel sitzt, muss erst recht bellen. Der Einakter-Abend mit dem halbironischen Titel „Inselzauber“ ist laut und bunt, aus dem Orchestergraben passend zum Geschehen schräg und satt, auf der Bühne im Frivolen und Tragischen klamaukig, hart und immer verspielt. […]

Ritschel wirft seinem Ensemble zahlreiche intelligente Blödeleien zu und bewahrt trotzdem für Offenbach Liebe und Respekt. Die erste voll-queere und schließlich mit knapper Not im stinknormalen Ehealltag ankommenden Operette (Paris 1868) erfährt noch ein ernstes Nachspiel mit nur allzu realen Einblicken in eine Paargemeinschaft des mittleren 20. Jahrhunderts. An dessen Absturz ins monotone Elend vermögen die Komfort-Pole Einbauküche und Psychoanalytiker mit viel „Kunst an den Wänden“ nichts zu ändern. […]

Faszinierender noch als die getanzte Farce für Musiktheater auf der „Insel Tulipatan“ ist der Sprung in das glatte, blankpolierte Funktionsdesign von Leonard Bernsteins Ehedrama, das auch im Kinoraum beim Film „Trouble in Tahiti“ weder Entspannung noch Versöhnung finden wird. Hier gewinnt das Drama durch Preus musikalisches Pulsieren in der kleinen Besetzung mit der Fassung für Kammerorchester von Garth Edwin Sunderland. Es ist hier ein kühles und dabei breit ausschwingendes Elend, das Bernsteins Anti-Eheoper musikalisch vollauf bedient und durch die kühle Ästhetik doch in Distanz setzt. […]

Wohltuend dazu: Am Ende kein Verbeugen vor leerem Haus mit hungrigen Künstlerblicken, die Sehnsucht bedeuten sollen. Sven Stratmann als Video-Gestalter behandelt die Bühne in Totale und Details wie ein Studio, in dem der Zauber alsbald ernüchtert, wenn das Spielgeschehen in die steril gehaltene Ehe-Insel verrutscht und eine knappe Stunde später die Begeisterung für einen spannend schönen, leider nur digitalen Theaterabend nachklingt. Zum Schluss blinkt auf der „Trauminsel“ noch immer das Neonband mit dem Schriftzug „Paradise“.

 

Heiko Schon - www.kultura-extra.de

Broadway-Qualität in Radebeul!

[…] Einen Tag später kippt Sebastian Ritschel an den Landesbühnen Sachsen in Radebeul ein wahres Füllhorn an Regieideen über der Insel Tulipatan aus. […] Die opéra-bouffe ist ein Offenbach par execellence: Unter dem strassbestickten Mantel von frivolem Klamauk kommen politische Botschaften zum Vorschein, die ohne erhobenen Zeigefinger unters Theatervolk gebracht werden. Dieser Spagat gelingt Ritschel auf temporeiche, blitzgescheite und extrem lustige Art und Weise. […] Dazu Fummel, die auf jedem Tuntenball Preise abräumen würden, und eine Bühne, die nicht nur lebendiges Treiben möglich macht, sondern auch ein echter Hingucker ist. Die Ausstattung zeigt außerdem, wie gut die theatereigenen Werkstätten in Schuss sind. Dass die vielen Gags im Tor landen, liegt auch an einem Cast, der regelrecht Funken sprüht: […] Sie alle wirbeln so köstlich, so spielfreudig über die Rampe, man könnte meinen, das Cross-Dressing sei seit jeher ihre künstlerische Heimat gewesen.

Abgerundet wird das Ganze mit einer toll instrumentierten Fassung für Kammerensemble, erstellt von Hans-Peter Preu, der auch die schmissig aufspielende Elbland Philharmonie Sachsen dirigiert. Dieser Offenbach kommt vom Zuckerhut, hat Groove, geht sofort ins Ohr und von dort direkt in die Beine. Zusammen mit Lenny Bernsteins Trouble in Tahiti ist hier ein Doppelabend („Inselzauber“) zu bewundern, der Broadway-Qualität hat. In Radebeul!

 

Andreas Schwarze - Dresdner Neueste Nachrichten

Gelungener Doppelabend!

Überraschung, Begeisterung, Nachdenklichkeit und gespannte Aufmerksamkeit - all das konnte man in den Gesichtern des Publikums dieser in jeder Beziehung gelungenen und anregenden Musiktheaterpremiere der Landesbühnen Sachsen in Radebeul lesen. Regisseur, Ausstatter und Lichtzauberer Sebastian Ritschel empfängt die Besucher mit den leuchtenden Farben unserer allgegenwärtigen Displays, durch deren Rahmen wir inzwischen unser Leben zu sehen gewohnt sind. Dahinter dreht sich die Welt in Form eines magischen leuchtenden Würfels, der die Illusionen verschiedener Universen in sich birgt. Die meisterhaft eingesetzte Technik ist im Zusammenspiel mit den agierenden Sängern und Musikern wahrhaft theatralisch und befördert die menschliche Kunstausübung überragend.

Zwei gänzlich unterschiedliche Stücke ergeben in diesem Rahmen eine im Nachklang absolut logische Folge über die Absurditäten und Schwierigkeiten des Zusammenlebens. Jacques Offenbachs Einakter „Die Insel Tulipatan" steht dabei an erster Stelle und kommt als knallbunte, groteske Instagram-Posse daher. Den Text der schon 1868 gewagten Komödie über Geschlechteridentitäten würzten Sebastian Ritschel und Ronny Scholz mit satirischem Pfeffer kräftig nach. […] Antje Kahn, Kirsten Labonte, Kay Frenzel, Andreas Petzoldt und Florian Neubauer singen, spielen, tanzen und kalauern sich durch den Dschungel der Gefühle, dass es eine Freude ist. Außer ihrem Können, der ausgezeichneten Textverständlichkeit und den glitzernden, herrlich verrückten Kostüme reißt die Musik die Zuschauer zu Beifallsstürmen hin. […] 

Betritt man nach der Pause den Zuschauerraum, sind Palme und Dschungelblätter verschwunden, der Regenwald der Romantik wurde quasi abgeholzt. Der Würfel scheint die Bodenhaftung verloren zu haben und mitunter schwerelos zu schweben. […] Während des ganzen Abends begleitet die Zuschauer das Mysterium der Ananas. Die bekanntermaßen sehr gesunde Frucht schwebt zuweilen überdimensional über der Szenerie. Exotisches Symbol der Insel? Discokugel, Atombombe oder gar Abrissbirne der Zivilisation? Wer weiß.

 

Jens Daniel Schubert - Sächsische Zeitung

Von Offenbach über Bernstein ins Heute

Ritschels Humor ist immer hintergründig. […] Sebastian Ritschel, verantwortlich für Inszenierung und Ausstattung, scheut sich weder vor aktuellen An- und Bezüglichkeiten noch vor Klamauk und Gags […] Bei ihm werden die Rollen nicht zurückgetauscht, sondern aufgebrochen. Sein Spielraum, zwei Wände mit Tür und Fenstern, im Innern gemütliches Wohnzimmer, leicht verkantet auf der Drehbühne, versinkt zeitweise regelrecht in den lebendigen Palmen-Projektionen von Sven Stratmann. […] Auch die Choreografien von Marie-Christin Zeisset greifen den überdrehten Schwung aus Tulipatan auf. Daneben sind Vereinsamung und Bindung, die Ylva Gruen und Paul Gukhoe Song berührend spielen und eindrucksvoll singen, von beängstigender Dichte. Da blieb das Publikum am Schluss eine Weile betroffen still, bevor der Applaus für den gelungenen, weit gespannten Bogen des Theaterabends groß und lang anhaltend wurde.

 

Boris Michael Gruhl - MDR-Kultur

Wenn Komik und Tragik nur eine Insel entfernt sind

Offenbachs "Tulipatan" glänzt zunächst mit Bravour und Stolperspaß, mit Kalauern, Klamauk, Anzüglichkeit, glitzernden Klischees und auf den Kopf gestellten Konventionen, was einen Riesenspaß macht. Doch was wie ein genrebedingtes Happy End auf einer Märchen-Operettenzauberinsel wirkt, lässt bei genauerem Blick doch ein Blättern des Zauberputzes erkennen […] Im zweiten Teil, dem Bernstein-Operneinakter "Trouble in Tahiti" ist es eher tragisch als ausgelassen. Dort droht das Paar Dinah und Sam an der Kälte ihre Einsamkeit zu zweit zu erfrieren, es brechen Emotionen von ungeahntem Maß auf. Das Paradies – das ist eine wunderbar berührende Szene – das kann man höchstens im Koffer mit sich tragen. Wie die einsame Dinah am Ende sogar nur im Koffer ihres Kopfes. 

Unser Kritiker Gruhl wusste vorher nicht, wie diese beiden unterschiedlichen Stücke zusammenpassen sollten, doch es funktioniert: „Ich habe mir das zunächst auch kaum vorstellen können, wie geht das zusammen? Dann aber hatte ich aber gestern am Ende das ganz starke Gefühl: hätte ich Bernsteins Drama der Einsamkeit wirklich so tief und so emotional empfunden wie gestern Abend, wenn es, allen Traditionen des Theaters zum Trotz, dieses grelle Satyrspiel zuvor nicht gegeben hätte?“

Diese Inselzauber-Assoziation, die sind für mich dann am Ende gestern Abend wirklich berührend aufgegangen.

 

Boris Michael Gruhl - www.musik-in-dresden.de

Das Theater als Zauberinsel

[…] Und dann gibt es da noch diesen Kunstgriff. Es geht nämlich vielleicht doch zurück zu Offenbach und darüber hinaus als Vision: In Bernsteins Oper kommentiert ein Trio knapp und sachlich die sieben Stationen der Einsamkeit zu zweit. Das sind hier drei filmdivenhafte Blondinen, eine Frauenstimme und zwei Männerstimmen. Für Kirsten Labonte, Florian Neubauer und Benedikt Eder ein hör- und sichtbarer Spaß am Spiel mit der Frage, wer oder was denn nun wirklich in oder unter welchem Rock steckt. Diese Insel-Zauber-Assoziationen sind gestern Abend aufgegangen. […] Hier hat es funktioniert, der Inselzauber und das Theater als Zauberinsel; gerade in Zeiten, die ja alles andere als zauberhaft sind.