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EUGEN ONEGIN

Peter Tschaikowsky

Inszenierung | Licht Sebastian Ritschel
Musikalische Leitung Eckehard Stier
Ausstattung Britta Bremer
Dramaturgie Ronny Scholz
Choreinstudierung Manuel Pujol
 
Premiere 02.06.2012 | GHT Görlitz-Zittau

Besetzung

Tatjana Yvonne Reich
Eugen Onegin Tim Stolte
Lenski Jan Novotny
Larina Margo Weiskam
Filipjewna Helena Köhne
Olga Patricia Bänsch
Fürst Gremin Stefan Bley
Triquet Tommaso Randazzo
Hauptmann | Saretzki Won Jang
Vorsänger Keon Lee
Guillot Heiko Vogel
  Chor des GHT Görlitz-Zittau
  Neue Lausitzer Philharmonie

Trailer | Eugen Onegin

Rezensionen

Jens Daniel Schubert - Sächsische Zeitung

Die Bilder bohren sich ins Ohr

Peter Tschaikowskys „Eugen Onegin“ erzählt drei Opern in einer: Spannend zu sehen und zu hören ist das nun in Görlitz.

Mit großem Jubel wurde am Sonnabend in Görlitz die Premiere von Tschaikowskys „Eugen Onegin“ gefeiert. Eine klangvoll gestaltende Neue Lausitzer Philharmonie, ein homogen-kräftiger Opernchor und ein rundum überzeugendes Solistenensemble präsentierten die Oper in einer packenden, spannungsvollen und bildstarken Lesart – der Spielzeit-Höhepunkt in der Lausitz.

Regisseur Sebastian Ritschel legte den Fokus seiner Erzählweise in jedem Akt auf eine andere Hauptfigur. So erzählt er zunächst von Tatjana, die sich aus der Enge ihrer Lebenswelt herausträumt, in einer fiebrig durchwachten Nacht jenen seelenvollen Liebesbrief schreibt und für die die abweisende Reaktion Onegins niederschmetternd ist. Der zweite Akt gilt dem Dichter Lenski, der sich in poetischer Schwärmerei die Verhältnisse passend denkt. Auch er scheitert an Onegin, der ihm die Augen öffnen will und dem Unbelehrbaren eine tödliche Lehre erteilt. Auf ihn richtet sich der Blick der Inszenierung im dritten Teil. Onegins Realitätssinn führt ihn in die Sinnkrise, und ausgerechnet Tatjana ist es, die ihm die Unmöglichkeit einer Flucht ins Glück vor Augen führt. Tatjana leidet dabei, Onegin aber zerbricht.

Ritschels Lesart ist konsequent und zwingend. Seine Personenführung folgt genauer Beobachtung und führt zu dichten Bühnenfiguren mit klaren Haltungen und mitreißenden Entwicklungen.

Aufbauend auf ein Raumkonzept des Dramaturgen Ronny Scholz hat ihm Britta Bremer dazu ein optisch reizvolles, dramaturgisch starkes und theatralisch wirksames Bühnenbild gebaut. Eine kleine, abgeschlossene Stube aus den Seiten der Romane, die für Tatjana, aber offenbar nicht nur für sie, die harten engen Grenzen ihrer Welt abpolstern. Ein überdimensionales Fenster öffnet sich nach hinten, zum Anderen, Großen, manchmal traumhaft Verlockenden. Die heile Welt der Lektüre bekommt Löcher mit jeder Seite, die von der Wand gerissen wird. Zum Schluss bleibt nichts als die kahle, kalte schwarze Zelle, in der Onegin verzweifelt. Mit den historisierenden, geschmackvoll gestylten und dennoch treffend charakterisierenden Kostümen und einer effektvollen Beleuchtung entsteht eine ungemein beeindruckende Optik. [...]

Mit diesem „Onegin“ beweist das Ensemble der Lausitz einmal mehr Leistungsfähigkeit und die Chancen, großes Musiktheater auch an kleinen Häusern zu realisieren.

 

Boris Michael Gruhl - DNN

Der Tod und die Regeln der Kunst

Tschaikowskys lyrische Szenen: „Eugen Onegin“ in Görlitz

Am Ende war die Freude groß im Görlitzer Theater, beim Ensemble, beim Orchester, vor allem beim Publikum, das sich mit starkem, oftmals jubelndem Applaus für diese Premiere bedankte. Zu Recht. [...]

Das Leben ist kein Roman in Versen. Britta Bremer hat einen geschlossenen Raum gebaut, dessen Wände beklebt sind mit jenen 51 Srophen der acht Kapitel aus Puschkins gereimtem Roman, nach dem Tschaikowsky seine lyrischen Szenen schuf. Hier, wie in der schwarzen Strenge des Hauses einer Bernada Alba, fristen die Larina mit ihren Töchtern Olga und Tatjana und der Amme Filipjewna ihren Anschein vom Leben. Sie flüchten in Erinnerungen, Träume oder Verse, was außerhalb dieses traumatischen Kerkers geschieht, dringt nur als Bild, als Illusion einer Wirklichkeit ein, wozu sich immer wieder, etwa für den Chor der Landleute, weit oben ein unerreichbares Fenster öffnet. Hier wird auch Tatjana das Bild ihres geliebten Onegin wie eine idealisierte Ikone erscheinen, das Fenster wird sich öffnen wie eine Tür in der Ikonostase russischer Kathedralen.

Im Verlauf des unaufhaltsamen Scheiterns fallen die Verse von den Wänden, der Raum ist eine Gruft, und streng gemessenen Schrittes, als bewege sich die Gesellschaft in einem Trauerzug, werden Feste vollzogen, nicht gefeiert. Hier vertraut sich Tatjana in ihrer großen Briefszene Onegin in ihren Versen an, hier nimmt sie seine Demütigung  entgegen wie ein zurechtgewiesenes Kind, das artig auf dem großen Stuhl hockt. Hier wird der an Verlustängsten leidende Lenski Onegin zum Duell fordern und im entscheidenden Augenblick so weltfremd sein, dass er die Waffe gar nicht zu bedienen weiß. Hier treffen Onegin und Tatjana noch einmal zusammen, sie ist die Fürstin Gremina, er ein Weltenwanderer ohne Ankunft, sie erringt jetzt ihren Augenblick der Freiheit, zerreißt jenen verhängnisvollen Brief, spricht von ihrer Liebe ohne Aussicht auf Erfüllung, entflieht dem Raum durch eine kleine Seitentür, bevor sich schwer die schwarze Decke wie der Deckel eines Sarges  über den einsamen Onegin senkt.

Sebastian Ritschel hat dieses Drama lebender Leichname mit strenger Genauigkeit und choreografischem Geschick inszeniert. Er weiß, weniger ist mehr, daher haben seine Figuren jeweils ein knappes, aber genaues Maß charakteristischer Signale, die denen der Musik zugeordnet sind. So entstehen Bilder von großer Eindringlichkeit, mitunter ist ein Hang zu symbolischer Überhöhung, besonders bei der Inszenierung der Chorszenen, nicht zu übersehen.