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ALCINA

Georg Friedrich Händel

Inszenierung | Licht Sebastian Ritschel
Musikalische Leitung Attilio Cremonesi / Stefan Veselka
Ausstattung Markus Meyer (B) | Sebastian Ritschel (K)
Dramaturgie Ronny Scholz
 
Premiere 14. Januar 2017 | Theater Münster

Besetzung

Alcina Henrike Jacob
Ruggiero Lisa Wedekind
Morgana Eva Bauchmüller
Bradamante Charlotte Quadt
Oronte Youn-Seong Shim
Melisso Filippo Bettoschi
  Statisterie
   
  Sinfonieorchester Münster

Trailer |

Rezensionen

Anke Schwarze - Westfälischer Anzeiger

Hexenhorror mit Farbenspiel

Alcinas Koloraturen schneiden durch eisige Luft. Die Zauberin reckt ihre Arme rachelüstern gen Himmel. Ihr schwarzes Kleid zeichnet sich als scharfe Silhouette vor dem weißen Hintergrund ab. Ein Männerballett in roten Abendkleidern umtanzt sie wie fleischgewordene blutrünstige Fantasien.

In dem Maß, in dem Händels Oper an Dramatik und Gefühlschaos zunimmt, steigert sich die Inszenierung von „Alcina“ am Theater Münster in einen optischen Rausch aus grellen Farbkontrasten. Sebastian Ritschel (Regie, Kostüme) und Markus Meyer (Bühne) schaffen ein effektvolles und stimmiges Bild des musikalischen Dramas, das Händel in der Theatersaison 1734/35 mit „Ariodante“ aufführen ließ.

Mit „Alcina“ widmet sich das Theater nun einer weiteren Händel-Oper, die aus dem Epos „Der Rasende Roland“ von Ariost basiert. Dieses Mal ist es eine Zauberoper, die Ritschel gründlich entzaubert. Seine weiße Raumvielfalt - Landschaften aus Schnee und Eis, Gemächer mit weiß getäfelten Wänden - lässt keinen Platz für Illusionen. Wer liebt, der täuscht und manipuliert. Im konturlosen Weiß verschwimmen die Geschlechterrollen (…)

Im Anklang an barockes Kulissentheater kommentieren oder konterkarieren Einschübe und schemenhafte Hintergrundszenen das Geschehen an der Rampe. Während Ruggiero ihre Liebe besingt, gibt sich Alcina einer Männerhorde hin. Das Foto einer idyllischen Parklandschaft schiebt sich in Morganas lockende Arie, mit der sie Bradamante gewinnen will. Die Kostüme verweben sich zu einer Farbsymphonie. Solange Alcina kühl ihr Reich beherrscht, dominieren Weiß- und Grautöne. Ruggiero und Morgana stechen leuchtend blau vor: die Farbe der Treue kleidet ausgerechnet die flatterhaften Charaktere. Nachdem Alcinas Macht gebrochen ist, wird sie von Schmerz und Rachegelüsten zerrissen. Mit ihrer Leidenschaft brechen rote Lichteffekte auf; Spots werfen ihre Figur als abstraktes Schattenspiel an die Wand.

Die Inszenierung wahrt ironische Distanz. Während es aus dem Orchestergraben zwitschert und flattert, kämpfen sich Bradamante und Melisso mit übertriebenen mimischen Gehabe gegen den Sturm. Unter der Decke von Alcinas Palast klebt kopfüber ein lebensgroßer Plastik-Eisbär. Die Zauberin scheint einer Kreuzung aus Disney-Hexe und schlechtem Horrorfilm entsprungen, wenn sie irren Blickes die Axt schwenkt. Im nächsten Moment knallt sie bodenständig die Tür, als Ruggiero sie verlässt.

 

Thomas Molke - www.omm.de

Schnee und Eis im Zauberreich

Auf der Bühne tobt ein wilder Schneesturm, durch den sich Bradamante und Melisso kämpfen, bevor sie erschöpft vor drei verschlossenen Türen zusammenbrechen. Alcinas Reich ist scheinbar ein Eisberg mit der Zauberin als Eiskönigin. In einem großen weißen Raum mit einem von der Wand herabsteigenden Eisbär empfängt sie die beiden Neuankömmlinge und präsentiert ihnen ihre früheren Opfer, die unter Schneemassen im Zauberreich ergraut sind. Nur Ruggiero erfreut sich in einem dunkelblauen Pyjama noch frischer Jugend und räkelt sich in einem höher gelegenen Raum im Hintergrund vor einem Panorama von Eisbergen in einem weißen Bett. Ein auf der linken Seite in den Raum geschobenes Bühnenbild, das mit frischen grünen Farben eine blühende Landschaft in dieser Eiswüste vorgaukelt, gibt dem Zauberreich eine wärmere Nuance, während das aufgetischte Essen aus silbernen Früchten besteht. Mit dieser Kälte spielt Sebastian Ritschel in seiner Inszenierung konsequent und erzeugt eindrucksvolle Bilder.

Einen szenischen Höhepunkt stellt Alcinas große Arie "Ah! mio cor! schernito sei!" dar, in der sie erkennt, von Ruggiero verraten worden zu sein, und krampfhaft versucht, sich nicht ihrem Schmerz hinzugeben. Henrike Jakob trägt als Zauberin in dieser Szene ein ausladendes eisgraues Kleid, das sich auf beinahe magische Art während der Arie schwarz färbt. Zunächst erscheinen einzelne schwarze Spritzer auf dem grauen Kleid, die zeigen, dass die Eisfassade bröckelt. Dann rieselt zarter Regen aus dem Schnürboden herab, der das Kleid bis zum Ende der Arie völlig schwarz einfärbt und die dunkle Seite Alcinas somit von innen nach außen kehrt. Ebenso eindrucksvoll gelingt ihre anschließende Rachearie "Ombre pallide", in der sie ihre Macht noch einmal zu bündeln versucht, um den Geliebten zu vernichten. Hier treten die zuvor ergrauten Statisten in feuerroten Kleidern auf und umwirbeln Jakob in ihrem schwarzen Gewand wie ein Feuerstrahl. Dabei kommt durch geschickte Lichtregie auch das Eis um den Palast in Bewegung. (…)

FAZIT: Sebastian Ritschel gelingen bei der Verlegung des Zauberreichs in einen Eisberg beeindruckende Bilder.

 

Tatjana Hoffmann - www.theaterpur.net

Von eiskaltem Hass und lodernder Rache

Regisseur Sebastian Ritschel und Dirigent Attilio Cremonesi haben diese Fassung erstellt und sich leiten lassen vom Primat einer durchsichtigen, vorangetriebenen Handlung. Das hat unbestreitbar Vorteile: Jeder im Publikum weiß immer, was gerade passiert, kann dem Geschehen folgen. Vor allem, weil Ritschel sich ganz auf die Titelfigur konzentriert - die Zauberin nämlich, die in einer festgefügten Welt lebt, in der sich alles ihrem Willen unterzuordnen hat. Folgerichtig, dass Ritschel Alcinas Reich anlegt wie es Hans Christian Andersen in seinem Märchen Die Schneekönigin tut. Es ist ein in sich erstarrter Frostkosmos. Markus Meyer baut ihm dazu eine kongeniale Bühne: Da gibt es kein Winterweiß-Einerlei, sondern eine fein grau-silbern abgestufte kalte Hölle, in der Alcinas Ex-Lover als Untote spuken.

Dann kommt Ruggiero und alles ist anders. Alcina verliebt sich wirklich, obwohl ihr klar ist, dass sie diesen Mann unter Zauber an sich gebunden hat. Als dann dessen Geliebte Bradamante auftaucht, kommt es zur Katastrophe. Alcinas Welt löst sich in nichts auf.

Dieses Spannungsfeld hat Sebastian Ritschel im Fokus und lässt „seine“ Alcina das komplette Spektrum von tiefer Liebe bis zu abgründigem Hass durchleben. Er bereitet Henrike Jacob in ihren Arien perfekte Auftritte, stellt sie ganz in den Mittelpunkt. Einfach toll anzusehen, wie sie in einem silbrigen Barockoutfit die Bühne betritt, dieses sich nach und nach blutrot färbt, wie sie sich Gummihandschuhe anzieht und eine Axt schwingt, um ihr Rachewerk zu vollenden. Jacob nutzt die Möglichkeiten, die das Regieteam ihr bietet, auf das Beste.

 

Richard Lober - www1.wdr.de/radio/wdr3

Alcina in Münster

Das Bühnenbild von Markus Meyer und die Kostüme von Sebastian Ritschel (der auch Regie führt) prägen die Inszenierung von Händels Oper "Alcina" am Theater Münster mehr als die Musik (zumindest in der besuchten Vorstellung). Das will etwas heißen in der Barockoper, in der es eigentlich ja nur auf den Gesang ankommt.

In der 12 Minuten langen Arie der Alcina "Ah! mio cor!" verschmilzt die Zauberin in einem langen weißen Kleid optisch mit dem ebenso weißen Salon ihres Zauberschlosses. Sie und der Raum sind in ein eisfarbenes Hellblau getaucht. In der Mitte der Arie fängt es plötzlich an zu regnen. Das Kleid färbt sich mehr und mehr schwarz. Es kann in dieser Eiswüste kein Regen sein, es wirkt wie schwarzes Blut. Alcina singt hier von ihrer enttäuschten Liebe zu Ruggiero. Von jetzt an wird sie nur noch in schwarz auftreten. Diese Arie ist das Zentrum des Stücks. Zum ersten Mal hat die Zauberin Alcina, die sonst Männer verführt, nur um sie in Felsen, Bäche und wilde Tiere zu verwandeln, wirklich geliebt.In dieser langsamen gedehnten, mit Seufzermotiven durchsetzten Musik legt Henrike Jacob einen Ausdruck von Verzweiflung in ihre Stimme. Man hört aber auch die aufbegehrende Erinnerung an die nunmehr gebrochene Stärke. Das ist berührend, und so kann man auch Verdi und Puccini singen. (…)

Sebastian Ritschel und Markus Meyer lassen die Oper in einem Einheitsraum spielen, der ein eleganter Salon sein kann, aber auch ein Schlachtfeld. Zur Arie "Ombre pallide" - "Bleiche Schatten" verwandelt sich der Raum in ein flackerndes Gruselkabinett. Oder von rechts wird ein Kabinett, in dem Alcina als Herrin des Liebes- und Zauberschlosses regiert, reingeschoben, immer wenn die anderen vorne von ihren Machenschaften singen. Von links drängt sich dagegen ein dichter Wald hinein und nach hinten wird gelegentlich der Blick auf eine schemenhaft erscheinende kalte Landschaft freigegeben.

 Dieses Bühnenbild wirkt opulent und ist zugleich praktisch für die Art, wie Ritschel inszeniert. Ihm kommt es darauf an, die Geschichte von der Befreiung Ruggieros aus den Fängen Alcinas durch seine Angetraute Bradamante möglichst einfach zu erzählen. Wer gegen wen intrigiert oder umgekehrt in Leidenschaft verfallen ist, begreift man immer auf der Stelle, was bei dem für die Barockoper typisch komplizierten Handlungsgeflecht, keine zu unterschätzende Qualität ist.

 

Hans Rochol - Die Glocke

Liebe wird Zauberin Alcina zum Verhängnis

Die Schwarzmagierin Alcina dort auf dem Atoll in Eis und Schnee lockt die Männer in ihre Falle, konsumiert und entsorgt sie, wenn sie ihrer überdrüssig ist. Der Nächste bitte! Doch die faszinierend schöne Hexe macht einen schweren Fehler. Einmal verliebt sie sich wirklich. Um die Zauberin herum hat Georg Friedrich Händel seine Oper „Alcina“ geschaffen. Am Samstag Abend erlebte das Juwel unter den Barockopern eine stürmisch umjubelte Premiere im vollbesetzten Stadttheater Münster. (…)

Sebastian Ritschel, in Düsseldorf geboren, hat Alcinas Zauberinsel aus den Mittelmeer in ein Ambiente aus Schnee samt Eispalast verlegt. Auf der von Markus Meyer eingerichteten Bühne gewährt der Regisseur den Zuschauern einen Blick in den Abgrund seelischer Note und Liebesqual, von Angst und Selbstzweifel. Ritschel richtet den Blick auch nicht ins 8. Jahrhundert, sondern hat die Oper mit viel Dampf modernisiert und den Protagonisten elegant-raffinierte Kostüme auf den Leib geschnitten. Dem begeisterten Publikum hat es sichtlich gefallen. (…)

Wer also barocken Zauber in ästhetisch geschmackvollem Ambiente erfahren möchte, darf diese „Alcina“ eigentlich nicht verpassen.

 

Helge Kreisköther - www.literaturundfeuillton.wordpress.com

Barock vor "Games of Thores"-Kulisse

Ritschels Inszenierung füllt die verhältnismäßig kleine Spielfläche des Münsteraner Theaters mit verschiedensten Blickfängern: Viel Schnee wirbelt herum, die Nebelmaschine ist fast im Dauereinsatz, von der Decke hängt ein neugierig auf die Bühne schauender Eisbär, ab und zu werden Dschungel-Kulissen und glänzend silbernes Mobiliar hereingefahren (Bühnenbild: Markus Meyer). Die Unberechen- und Wandelbarkeit der exotischen Insel überträgt sich dadurch aufs städtische Publikum. Zudem begeistern Ritschels Kostüme: Dicke Pelze, schwarzer Lack und nicht zuletzt Alcinas Kleid, das sich mittels schwarzem Regen komplett verfärbt, als sie ihre Macht schwinden fühlt. Ein besonderer Hingucker sind die Game of Thrones-artigen Zombies (Dramaturgie: Ronny Scholz), besetzt aus der männlichen Statisterie. Sie führen ihre Reigen rund um die unantastbare Königin auf – solange sie dies noch ist. (…)

Gerade für cineastisch geprägte Zuschauer hat auch die Münsteraner Inszenierung Begeisterungspotenzial.

 

Thomas Hilgemeier - Westfälische Nachrichten

Emotionen in der Eiseskälte

Das war ein wahrhaft „frostiger“ Auftakt für die diesjährigen „Tage der Barockmusik“: Ums Große Haus des Theaters tanzten draußen Schneeflocken – und auch auf der Bühne zog eine erstarrte Winterwelt herauf. Markus Meyer malt sie mit unzähligen Grau- und Silbertönen, an denen man sich nicht satt sehen kann. Herrscherin über diese kalte Pracht ist Georg Friedrich Händels Zauberin „Alcina“. Die hat es sich zur Gewohnheit gemacht, ihre abgelegten Liebhaber zu verwandeln und in ihrem Reich festzuhalten. In Münster kommen sie als Zombies daher, die Pelzmantel bewehrt dumpf stolpernd die Bühne bevölkern.(…)

Regisseur Sebastian Ritschel stellt das Chaos der Gefühle, das sich der Zauberin angesichts dieser Situation bemächtigt, in den Mittelpunkt seiner Inszenierung. Er komponiert zwei sehr intensive Szenen. Dunkelrot färbt sich Alcinas Kleid, als sie erkennen muss, dass Ruggiero sie nicht liebt. Herabprasselnder Regen wäscht alle äußerlich-kühle Pracht ab und zurück bleibt eine Frau, die von ihren Emotionen völlig überwältigt wird. (…) Das Musiktheater Münster kann Barock – und wie.

Es ist eine kurze „Alcina“-Fassung, die Sebastian Ritschel und Attilio Cremonesi, musikalischer Leiter und „Artist in Residence “ der „Tage der Barockmusik “, erarbeitet haben. Eine, die schnörkellos und vorwärtsdrängend die Handlung vorantreibt.

 

Burkard Knöpker - www.allesmuenster.de

Mit der Axt in rosa Gummihandschuhen

Eigentlich spielt die Geschichte ja irgendwo auf einer Insel im Mittelmeer, doch Regisseur Sebastian Ritschel macht von Anfang an deutlich, dass es lausig kalt sein muss, denn Schneestürme lassen zwei Reisende vor der Tür fast erfrieren. Alle Fantasien in Bezug auf Sonnenschein kann man getrost vergessen. (…)

Wunderschöne Kostüme, für die sich der Regisseur selbst verantwortlich zeigt. So trägt Alcina kurz vor der Pause ein Kleid, das im Nieselregen zu glänzen beginnt.

Überhaupt: Alcina. Henrike Jacob verkörpert die Figur. Sie singt leidenschaftlich, energisch, leidend, dominant, herrisch. Als sie spürt, dass der Zauber seine Wirkung verliert und Ruggiero zurück geht zu Bradamante, betritt sie mit Axt in der Hand die Bühne und zerdeppert eine Blumenvase. Rosen stieben durch die Gegend. Doch das hat noch nicht gereicht. Drohend und singend nähert Alcina sich dem Orchestergraben. Sie trägt rosa Gummihandschuhe und immer noch die Axt. Der ein oder andere Zuschauer wird es mit der Angst bekommen haben. Zur Seite stehen ihr acht Jünglinge, das Gesicht weiß getüncht, schwarze Längsstreifen, den Genitalbereich durch ein knappes Höschen verdeckt, in Pelzmäntel gehüllt. Ob das nun Lustknaben darstellt oder gar die Zauberkraft – das mag man denken, wie man will.

 

Sigi Brockmann - www.der-neue-merker.eu

Liebeszauber im Eispalast

Beim Publikum im ausverkauften Haus erweckte die Aufführung Begeisterung, manchmal schon mit Zwischenapplaus und zum Schluß auch mit Bravos für die Sänger, Orchester und den temperamentvollen Dirigenten, auch für  das Leitungsteam.