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ANATEVKA

Jerry Bock

Inszenierung | Licht Sebastian Ritschel
Musikalische Leitung Manuel Pujol
Ausstattung Markus Meyer
Choreografie Dan Pelleg | Marko E. Weigert
Dramaturgie Ronny Scholz
Choreinstudierung Manuel Pujol
 
Premiere 06.10.2012 | GHT Görlitz-Zittau

Besetzung

Tevje Stefan Bley
Golde Yvonne Reich
Zeitel Patricia Bänsch
Hodel Laura Scherwitzl
Chava Audrey Larose Zicat
Sprintze Lea Woite | Magdalena Folda
Bielke Anna Dribas | Karolina Folda
Mottel Kamzoil | Oma Zeitel Michael Berner
Perchik Torsten Ankert | Sven Prüwer
Fedja | Russischer Sänger Jan Novotny
Jente | Fruma-Sara Antje Kahn
Lazar Wolf Hans-Peter Struppe
Motschach Carsten Arbel
Awram Robert Rosenkranz
Mendel Heiko Vogel
Rabbi Torsten Imber
Scholem Alexander Kokoev
Wachtmeister Thomas Förster
Stimme des General Matthias Kertzsch
Geiger Wasilij Tarabuko
  Chor des GHT Görlitz-Zittau
  Tanztheater des GHT Görlitz-Zittau
  Neue Lausitzer Philharmonie

Trailer | Trailer | ANATEVKA

Rezensionen

Publikumspreis 2012/2013

Görlitzer Theater- und Musikverein | Renate Winkler

Mit Ihrer Inszenierung des Musicals ANATEVKA gingen Sie Risiken ein, indem Sie von gewohnten Interpretationen abwichen und den Theaterbesucher mit Ihrer Sichtweise konfrontierten. Sie hätten „verbrennen können“, aber es gelang Ihnen, das Ensemble so zu führen und zu motivieren, dass Sie das Publikum nachdenklich machen konnten. Begeisterte Theaterbesucher wählten Ihre Inszenierung in der Besucherbefragung der Spielzeit 2012/13 zum „Besonderen Erlebnis“. Sie haben wieder einmal Maßstäbe in der Regiearbeit gesetzt und Ihr Konzept für den Zuschauer in bemerkenswerter Weise gemeinsam mit allen Mitwirkenden umgesetzt. (Auszug)

 

Jens Daniel Schubert - Sächsische Zeitung

Tewjes Welt
Die erste Spielzeitpremiere in Görlitz erzählt das Anatevka-Musical ganz ohne Schtetl-Romantik und überzeugt dennoch mit eindrucksvollen Bildern und genauer Figurenführung.

Der Applaus am Schluss wollte nicht enden. Begeistert feierte am Sonnabend das Görlitzer Publikum die erste Premiere dieser Spielzeit, Jerry Bocks Musical „Anatevka“. Der Beifall galt dem gesamten Ensemble für die intensive Gestaltung der berührenden Geschichte von Tewje, gespielt von Stefan Bley, dessen traditionsgeordnete Welt aus den Fugen gerät. Neben den Darstellern wurde die ambitionierte Tanzcompany um Dan Pelleg und Marko E. Weigert besonders bejubelt. Viel Applaus erhielt der Dirigent des Abends Manuel Pujol mit den Musikern der Neuen Lausitzer Philharmonie und dem Chor. Gefeiert wurde auch der Regisseur Sebastian Ritschel, der mit dem Ausstatter Markus Meyer wieder eine Inszenierung schuf, deren große Bilder noch lange in Erinnerung bleiben werden.

Der Milchmann Tewje, von dem der jüdische Erzähler Scholem Alejchem erzählt, lebt sein armes, hartes Leben im Schtetl, träumt davon, einmal reich zu sein, handelt mit Gott wie mit dem Fleischer um seine Milchkuh und hat eine Philosophie, die das Leben erträglich macht. Er fühlt sich wie ein Fiedler auf dem Dach, ständig bemüht, eine kleine nette Melodie hervorzubringen und dabei die Balance zu halten, nicht abzustürzen und sich den Hals zu brechen. Und was die Balance hält, hat er auch herausgefunden, Tewje, der Milchmann aus Anatevka: Tradition!

Jerry Bock und Joseph Stein haben die Geschichten des Scholem Alejchem zu einem Musical geformt. Es zieht die Theaterbesucher hinein in Tewjes Gedanken- und Lebenswelt. Es vermittelt ein wenig dieses „Lachen unter Tränen“, von dieser fremden und doch liebenswerten Kultur. Es lässt etwas vom Humor und der Spitzfindigkeit dieser untergegangenen Welt auferstehen und führt gleichzeitig die Geschichte ihres Untergangs exemplarisch vor Augen. Eine traurige Geschichte vom Beginn des 20. Jahrhunderts tief im Osten. Eine tragische Geschichte, bildet sie doch auch ab, was in der Mitte des Jahrhunderts im Zentrum Europas geschah und was seit „Schindlers Liste“ mit Holocaust beschrieben wird.

Die neue Görlitzer Inszenierung versucht gar nicht erst, das Schtetl wieder auferstehen zu lassen. Diese Welt ist untergegangen, sie existiert nur noch in Erinnerung, in Utensilien und Requisiten, die wie in einem Setzkasten, wie in einem Museum aufgehoben werden. Markus Meyers Bühnenbild ist ein solcher schwarzer „Setzkasten“. Er umschließt ein Podest, das Ehebett und Hochzeitstafel, aber auch Tanzfläche, Dorfstraße und Bahnstation sein kann. Hier treffen sich die Bewohner von Anatevka in schicker Festgarderobe zum Schabbes und zur Hochzeit. Die Ausstattung, jeglichen Folklorismus meidend, verzichtet gänzlich darauf, das bunte, kraftvolle und bodenständige Leben des Schtetls zeigen zu wollen. Alles ist schwarz, weiß oder grau, ob Juden oder „die Anderen“. Nur der Fiedler, der immer dann wie aus dem Nichts auftaucht, wenn wieder etwas von der Tradition zu bröckeln beginnt, erglüht in teuflischem Rot.

Diese klare Struktur der Bühne, ihre kontrastreiche Reduzierung auf wenige Farben sind die wesentlichen Zutaten für die einprägsamen Bilder der Inszenierung, die großen Feiertableaus, der Spuktraum, der Albtraum des Progroms, die intensiven Abschiedsszenen zwischen Tewje und seinen Töchtern und schließlich das Schlussbild. Hier stehen Anatevkas Juden mit Koffern, Bündeln und Taschen im Schlaglicht. Der dunkle Horizont öffnet sich zu Bahngleisen ins Nichts und das kleine Mädchen im roten Mantel, Zitat aus Spielbergs „Schindlers Liste“, tritt aus der Masse der Vertriebenen hinaus. Auf dieses bewegende Bild läuft die Inszenierung hin.

Doch Ritschels Inszenierung beschränkt sich nicht aufs Arrangieren einprägsamer Bilder. Sehr genau führt er die einzelnen Figuren durch die wie in einem Bilderbogen aufeinanderfolgenden Szenen. Da ist Stefan Bley als Tewje, der die Szenen zusammenhält und verbindet. Da ist Yvonne Reich als resolute Golde, seine Frau, die Haus und Hof und fünf Töchter versorgen muss, wenn Tewje schlaue Reden hält mit Gott oder über ihn oder über das, was im großen Buch darüber geschrieben sein soll. Da sind die drei heiratsfähigen Töchter mit ihren Liebsten, die auf den Punkt präsent sind, der Fleischer, die Heiratsvermittlerin und die vielen kleinen Charaktere, die nur kurz im Licht stehen und dennoch Figuren voller Leben sind.

Es ist eine beachtliche Ensembleleistung, getragen vom Einsatz jedes Einzelnen, die den begeisterten Schlussapplaus rechtfertigt.