1.  
  2.  

DIE LUSTIGE WITWE

Franz Lehár

Inszenierung | Licht Sebastian Ritschel
Musikalische Leitung Andreas Schüller
Ausstattung Christof Cremer
Choreografie Radek Stopka
Dramaturgie Ronny Scholz | Heiko Cullmann
Choreinstudierung Thomas Runge
 
Premiere 29. April 2016 | Staatsoperette Dresden

Besetzung

Baron Zeta Elmar Andree | Gerd Wiemer
Valencienne Maria Perlt | Elena Pusta
Graf Danilowitsch Nikolay Borchev | Christian Grygas
Hanna Glawari Ingeborg Schöpf | Vanessa Goikoetxea | Elke Kottmair
Camille de Rossillon Richard Samek | Markus Francke
Vicomte Cascada Marcus Günzel | Bryan Rothfuss
Raoul de St. Brioche Frank Ernst | Hauke Möller
Bogdanowitsch Herbert G. Adami
Sylviane Jeanette Oswald | Alexandra Strauß
Kromow Hans-Jürgen Wiese
Olga Inka Lange
Pritschitsch Herbert Graedtke
Praskowia Silke Fröde
Njegus Jannik Harneit | Andreas Sauerzapf
   
  Ballett der Staatsoperette Dresden
  Chor der Staatsoperette Dresden
  Orchester der Staatsoperette Dresden

Trailer |

Rezensionen

Jens Daniel Schubert - Sächsische Zeitung

So schön kann Scheiden sein: Mit einer gelungenen Inszenierung von Franz Lehárs „Die lustige Witwe“ verabschiedet sich Dresdens Staatsoperette von ihrem alten Haus.

Letzter Premierenvorhang am Wochenende in der Staatsoperette: großer Applaus für „Die lustige Witwe“, Lehárs Operetten-Dauerbrenner. Mit ihr wurde das Haus in Leuben einst eröffnet, und die großzügig-eindrucksvolle Bühnengestaltung der neuesten Inszenierung wird auch im Kraftwerk Dresden-Mitte mit Sicherheit ihre Wirkung nicht verfehlen. Die letzten beiden „Witwen“-Inszenierungen in Leuben, 1995 von Rainer Wenke, 2002 von Ralf Nürnberger, hätten nicht unterschiedlicher sein können. Nun fügt Sebastian Ritschel eine neue Stücksicht hinzu, und das Publikum lässt sich begeistern.

Mit Ausstatter Christof Cremer hat er die Bühne in einen Bankraum, leere Schließfächer, riesige Tresortür, verwandelt. Der verändert sich durch goldene Lauben-Käfige und erhält schließlich eine lange Treppe als prägendes Element. Effektvolle Beleuchtung, auch in kräftigen Farben, kreiert einprägsame Bilder, ist Raum für überschäumende Balletteinlagen und schafft intime, ganz auf die Personen konzentrierte Spielorte.

Ritschel erzählt die Liebesgeschichte zwischen Hanna und Danilo mit anrührender Ernsthaftigkeit. Er verzichtet auf eine konkrete Raum-Zeit-Logik, heute in der pontevidrinischen Botschaft, morgen im Palais der Hanna und dann im darin installierten Varieté. Vielmehr geht es, ohne die Zuordnung gänzlich auszuschließen, um Innenräume, Zustandsbeschreibungen. Anregungen, anstelle Denkvorschriften für den Zuschauer. Im Vilja-Lied, abseits slawischer Folkloristik, erzählt er von großer Liebe und kurzer, aber unglücklicher Ehe.

Hanna wird wegen ihrer Millionen umworben und will doch nur den Einen, Danilo! Der erklärt sich, auch wegen ihrer Millionen, nicht. Das ist klassische Operette und hat doch so viel von Oper. Ritschel inszeniert großes Musiktheater, aber gibt der Operette, was sie braucht. Die Inszenierung spielt auf der Klaviatur des Genres mit großen Gefühlen, witzigen Klamotten, prächtigen Balletteinlagen. Radek Stopka steuert die Choreografien und Christof Cremer tolle Kostüme bei, die glanzvoll, ästhetisch schön und doch treffend charakterisierend sind.

Das Ballett kann auch Boy-Strip

Der Tresorraum, die goldenen Gitter, die edlen Kostüme; Cremer zeigt den Staatsbankrott nicht im mühsam verdeckten Verfall. Ritschel inszeniert ihn als animalische Genusssucht unter glänzender Oberfläche und feiner Etikette. Mitnehmen, was zu kriegen ist. Genießen, als gäbe es kein Morgen. So wird aus dem Kanzlisten Njegus, sonst ein alter Kauz und Operettenkomiker, ein jugendlich-androgyner Maître de plaisir, der die Sektgläser höher, die Musik schmissiger und die Show im „Maxim“ attraktiver macht.

Jannik Harneit avanciert zwischen den Protagonisten, aber mehr noch in den Reihen des Balletts, zum Star des Abends. Sein Showtreppen-Auftritt mit langer Schleppe und dem extra eingefügten Song ist ein Höhepunkt, ergänzt durch Offenbachs Can-Can aus dem „Pariser Leben“, in dem das Ballett alle Register bis zum Boy-Strip zieht.

Vanessa Goikoetxea und Nicolay Borchev sind berührende Protagonisten, ihre Geschichte wird zu Herzen gehend erzählt. Er entfaltet im Laufe des Abends immer mehr stimmliche und szenische Präsenz, sie brilliert mit opernhaft geführten Gesangslinien, sicherer, wenngleich manchmal mit scharfer Höhe und eindringlichem Piano. (...) Beide fügen sich gut in das bis in die kleinsten Rollen und die Choraktionen hinein genau geführte Ensemble. (...)

Dabei hat Andreas Schüller am Pult grundsätzlich sängerfreundlich begleitet. Er ist für die Bühne, ob Solisten, Chor oder Tänzer, ein aufmerksam reagierender Partner, setzt an entscheidenden Stellen Impulse aus dem Graben und musiziert einen schwung- und klangvollen Lehár.

Dieser, das Sängerensemble und eine schlüssige Inszenierung sehenswerter Bilder begeisterten die Premierenbesucher und schlagen zugleich Brücken hinüber zum neue Haus im Zentrum.

 

Boris Michael Gruhl - DNN

Finale mit "Die lustige Witwe"

Ein Finale mit Ohrwurmcharakter. „Die lustige Witwe“ von Franz Lehár hat den Schlusspunkt unter die Jahre der Dresdner Staatsoperette in Leuben gesetzt. Noch einmal jubelte das Publikum.

 Wir sind pleite, und das macht gar nichts. Wir wahren den Schein und hoffen darauf, dass die Scheine wieder flattern. (…)

„Die lustige Witwe“ wurde jetzt als letzte Premiere Lehárs unverwüstliches Erfolgsstück in einer neuen Inszenierung von Sebastian Ritschel mit Andreas Schüller am Pult des Orchesters der Staatsoperette stürmisch gefeiert. (…)

Ob die munteren Herren witzig davon singen, wie schwer das Studium der Weiber sei, und dann ganz gendergerecht auch die Damen uns ihre Studienergebnisse singend und tanzend mitteilen, ob es zu Maxim geht, wo der sympathische Lebemann Danilo Danilowitsch die Sorgen des Vaterlandes vergisst, oder ob im sentimentalen Walzerduett Lippen schweigen und Geigen flüstern – die Musik geht ins Ohr. Sie geht auch in die Beine. Lehár kennt sich gut aus in den rhythmischen Raffinessen der slawisch-ungarischen Traditionen und kann auch mal rasant werden à la Offenbach oder ganz opernhaft seiner Verehrung für Puccini freien Lauf lassen. Der Orchestersatz ist stimmig und die Ensemblesätze zum Ende der jeweiligen Akte haben es in sich.

Auch die Handlung hat es in sich, sie ist ja nicht nur lustig, was auch diese Inszenierung beachtet, denn den Typen in der pontevedrinischen Gesandtschaft in Paris steht das Wasser bis zum Hals. Der Operettenstaat ist pleite. Nun kommt aber hier nicht Dürrenmatts alte Dame zu Besuch, sondern die attraktive, reiche Witwe Hanna Glawari. Sie soll als Zeichen seiner Staatstreue Graf Danilo Danilowitsch heiraten und so das Vaterland sanieren.

Der sympathische Lebemann, dem das Vaterland schnuppe ist, will aber nicht aus finanziellen, sondern nur aus Herzensgründen heiraten. Außerdem waren die beiden schon mal ein Paar, so eine Art Königskinder, die nicht zusammenkommen konnten, was auch etwas rührselig besungen wird.

Der Logik Schnippchen geschlagen

Hanna heiratete einen reichen Mann, der stirbt in der Hochzeitsnacht, macht sie reich, enterbt sie aber testamentarisch, wenn sie wieder heiratet, weil dann der Neue alles erbt. Man ahnt es, die Richtigen kriegen sich, die Staatspleite ist noch mal abgewendet, auch alle anderen Irrungen und Wirrungen der Liebe und der puren Lust können weiter gehen. Man ist ja in Paris, und alles geht ganz nach Pariser Art, nicht von ungefähr hat man auch den galoppierenden CanCan „Jetzt geht’s los...“ aus Offenbachs Operette „Pariser Leben“ im dritten Bild eingefügt.

Bis es aber nach flottem Vorspiel des Orchesters auf der Bühne so richtig los geht, erfordert es etwas Geduld. Die wird aber belohnt, wenn dann im dritten Akt die Funken nur so sprühen.

Der Regisseur nimmt das Werk und seine Menschen ernst, daher arrangiert er auch keine üblichen Auf- und Abtritte mit Chorszenen im Halbkreis. Er weiß aber schon, dass in der Operette die Wege immer wieder an die Rampe führen müssen, nur sinnvoll muss es sein. Er entwickelt gemeinsam mit dem Ausstatter Christof Cremer und dem Choreografen Radek Stopka so etwas wie komisches, manchmal auch absurdes Musiktheater, albtraumartige Szenen gehören dazu.

Der Logik muss da so manches Schnippchen geschlagen werden, aber davon lebt ja die Operette.

Die spielt sich hier in Cremers Ausstattung im unterirdischen Tresorraum einer Bank ab. Die Schließfächer allerdings sind leer, nur in denen der Größe XXXXL kann schon mal jemand seinen Rausch ausschlafen.

Wenn dann im zweiten Akt ein Fest im Stadtpalais der Witwe gefeiert wird und vergoldete Jugendstilornamentik an die Zeit der Entstehung des Werkes erinnert, könnte man aber auch den Eindruck gewinnen, hier wird in einem Krematorium gefeiert. Am Ende lässt sich alles verschönen, die Bank ohne Noten, Münzen und Papiere, wird zum Kabarett, schelmischer geht’s kaum. Und irgendwann kommt der Gedanke, das spielt sich alles tief unterem Meeresspiegel in einem U-Boot ab und hier feiert jetzt, immer auf Anweisung, eine längst untergegangene, gerade noch mal an die Oberfläche gekommene Gesellschaft ganz fröhlich ihren Untergang und singt sich dabei ein, das sei ihr Aufstieg. Alle sind korrekt in Schwarz gekleidet, aber wahrscheinlich sind es wirklich nur noch die Kleider, die hier die Leute machen.

Eine Hauptrolle spielt der Kanzlist Njegus, sonst eine Episode, hier der kommentierende, mal rettende und mal auch entlarvende Tanzmeister dieser Totentänze im Dreivierteltakt. Jannik Harneit, androgyn und metrosexuell, Showmaster von Mephistos Gnaden, ein exzellenter Musicaldarsteller, ist das Ereignis des Abends.

Gute Typenbesetzung auch kleiner Rollen

(...) Die vielen kleineren Rollen sind toll besetzt, schöne Typen, alle profitieren von den Stilisierungen der Regie und den mitunter gewollten Überspitzungen der Klischees, sehr gelungen die choreografisch und musikalisch grundierte Führung der Personen. So werden auch die Damen und Herren des Chores bestens präsentiert, die zudem in der Einstudierung von Thomas Runge grandios singen. Nicht zu vergessen das Ballett, besonders im rasanten dritten Akt, mit den ins Moulin Rouge führenden Choreografien von Radek Stopka. Das Orchester unter der Leitung von Andreas Schüller lässt es schon mal übermütig krachen oder den Rhythmus atemberaubend dahinfliegen, auf die sanfteren und sentimentalen Klänge muss man nicht verzichten.